Umsetzung des BTHG:
Gedanken zur Leistungsdefinition
Im Jahr 2020 wird die dritte Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft treten. Die damit einhergehende Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen ist nicht nur in Bezug auf die Leistungsabrechnung ein Thema, das momentan viele Einrichtungen beschäftigt. Viele Leistungen müssen von Grund auf neu definiert werden, damit sie nach außen hin kommuniziert werden können.
Das BTHG sieht vor, dass die Leistungsempfänger in Zukunft selbst entscheiden können, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen möchten. Ganz neu ist diese Vorgehensweise nicht: Seit Januar 2008 besteht in Deutschland ein Anspruch auf das sogenannte „Persönliche Budget“. Die Höhe des Budgets wird aufgrund des individuellen Bedarfs des Leistungsempfängers festgelegt. Leistungsempfänger, die das Persönliche Budget in Anspruch nehmen, dürfen unter bestimmten Auflagen und anhand zuvor vereinbarter Kriterien selbst entscheiden, welche Leistungen sie mit diesem Budget „einkaufen“ möchten.
Das BTHG führt eine ähnliche Vorgehensweise nun flächendeckend ein. Vermutlich wird es zunächst Übergangsregelungen geben, da es unwahrscheinlich ist, dass eine vollständige Leistungstrennung von den Einrichtungen bereits im Januar 2020 umgesetzt werden kann. Dennoch müssen sich die Leistungserbringer auf die Leistungstrennung vorbereiten. Eine konkrete Definition der eigenen Angebote sollte Teil dieser Vorbereitung sein.
Leistungen trennen und neu definieren
Doch wieso ist eine konkrete Leistungsdefinition so wichtig? Ganz einfach: Die Entscheidung für eine Leistung kann nur auf Grundlage ausreichender Informationen getroffen werden. Den Leistungsempfängern muss also kommuniziert werden, welche Leistungen eine Einrichtung überhaupt anbietet, welchen Umfang diese Leistungen haben und was die einzelnen Leistungen kosten.
Im Gegensatz zu den Leistungsträgern, mit denen bisher verhandelt wurde, kann der Leistungsempfänger eingekaufte Leistungen aus erster Hand bewerten. Insofern muss der Fokus bei der Leistungsdefinition auf den Wünschen des Kunden – also des Leistungsempfängers – liegen. Die Einrichtungen müssen sich fragen: Wen wollen wir mit unseren Leistungen ansprechen? Welche Bedarfe haben unsere Klienten? Und wie können wir bestmöglich auf diese Bedarfe eingehen?
Es könnte durchaus passieren, dass sich Leistungsangebote aufgrund der veränderten Lage als nicht mehr zeitgemäß erweisen und gegebenenfalls angepasst oder sogar eingestellt werden müssen. Während bisher häufig umfassende Leistungspakete angeboten wurden, die sowohl existenzsichernde Leistungen als auch ausgewählte Fachleistungen enthielten und nur „als Ganzes“ in Anspruch genommen werden konnten, werden mit der fortschreitenden Umsetzung des BTHG Einzelleistungen in den Vordergrund rücken.
Diese Einzelleistungen gilt es zu definieren und zu bepreisen. Bei der Frage, welche Leistungen man anbieten möchte, müssen ganz klar die Bedürfnisse der Zielgruppe – also die der Leistungsempfänger – im Vordergrund stehen. In der Umsetzung ist das nicht ganz so einfach: Welche Leistungen braucht denn eine solche, doch recht große und anonyme Zielgruppe eigentlich?
Leistungsdefinition: Persona erstellen
Bei der Definierung von Leistungsangeboten für die eigene Zielgruppe kann eine sogenannte Persona sehr nützlich sein. Im Marketing spricht man hierbei auch häufig von „Kunden-Avataren“ oder „Wunschkunden“. Man erstellt eine fiktive Figur, die den realen Klienten ähnelt und deren Eigenschaften besitzt. Eine anonyme und abstrakte Zielgruppe wird durch eine solche Persona greifbarer – und das macht es einfacher, Leistungen zu definieren und zu entwickeln, die auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind. Natürlich sollten die Eigenschaften dieser fiktiven Person nicht wahllos zusammengewürfelt werden, sondern im Gegenteil realistisch sein.
Deshalb ist es wichtig, diese fiktive Figur detailliert zu entwerfen: Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Ist sie verheiratet oder ledig? Hat sie Kinder? Arbeitet sie und falls ja, in welchem Bereich? Womit verbringt sie ihre Freizeit? Welche Apps nutzt sie am liebsten? Wie kommuniziert sie? Wie wird sie auf Angebote aufmerksam, die für sie interessant sind?
Wenn man dann eine konkrete Person mit Wünschen, Ängsten und Bedürfnissen vor Augen hat, ist es wesentlich leichter, personenorientierte Leistungen zu definieren, die auch wirklich zur jeweiligen Zielgruppe passen. Lässt sich die Zielgruppe nicht in einer einzigen Persona zusammenfassen, kann man natürlich auch mehrere fiktive Charaktere erstellen und ihnen mögliche Leistungen zuordnen.
Personae können außerdem nicht nur bei der Leistungsdefinierung helfen, sondern geben auch Aufschluss darüber, wie die Leistungen der Zielgruppe präsentiert werden sollten, wie man sie formulieren könnte und welche Möglichkeiten zur Leistungsbuchung zukünftige Klienten vermutlich am liebsten in Anspruch nehmen würden.
Leistungen zielgruppengerecht formulieren
Während bisher meist Leistungserbringer und Kostenträger über Leistungen verhandelt haben, sollen die Leistungsempfänger ab 2020 selbst wählen können, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen wollen. Das bedeutet aber auch, dass Leistungen zielgruppengerecht definiert und formuliert werden müssen. Beispielsweise könnte man sich Gedanken darübermachen, ob es sinnvoll ist…
… Leistungen auch in Leichter Sprache zu formulieren
… Leistungsbeschreibungen durch Bilder bzw. bildhafte Darstellungen zu ergänzen
… Leistungen in Videos zu erklären
… eine gut funktionierende Sprachausgabe auf der eigenen Website einzubauen
… etc.
Außerdem werden Leistungserbringer in Zukunft wahrscheinlich stärker auf positives Feedback durch Klienten angewiesen sein, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Wenn Leistungen nicht konkret definiert oder beschrieben werden, kann das Unzufriedenheit beim Empfänger hervorrufen, vor allem dann, wenn zuvor beschriebene bzw. „beworbene“ Leistungsinhalte nicht im tatsächlichen Leistungsumfang enthalten sind. Ziel sollte deshalb eine realistische Definition des später erbrachten Leistungsumfangs sein.
Leistungen kundenfreundlich präsentieren
Als Verbraucher gewöhnt man sich schnell an das komfortable Suchen von Produkten oder Dienstleistungen in großen Online-Shops. Mithilfe ausgeklügelter Filtersysteme und anhand von maßgeschneiderten Produktvorschlägen findet man heutzutage schnell, was man sucht. Inwieweit die Sozialbranche solchen Maßstäben gerecht werden muss, bleibt zunächst einmal offen.
Zweifelsohne muss Leistungsempfängern aber eine Möglichkeit geboten werden, die von den Einrichtungen angebotenen Leistungen online einzusehen – am besten möglichst übersichtlich. Eine sinnvolle Verschlagwortung kann zusätzlich dazu beitragen, dass die Leistungen besser über gängige Suchmaschinen gefunden werden.
Prozesse optimieren und digitalisieren
Auch die Prozesse in sozialen Einrichtungen müssen im Rahmen der Einführung der Leistungstrennung neu gedacht werden. Mit dem BTHG wird sich die Grenze zwischen stationären und ambulanten Leistungen voraussichtlich immer weiter auflösen. Dadurch ergeben sich viele Fragen: Welche Möglichkeiten stellt man den Klienten zur Leistungsbuchung zur Verfügung? Wie planen die Mitarbeiter ihre Termine? Wie lassen sich Übergaben gestalten, wenn ein Klient Leistungen von mehreren unterschiedlichen Einrichtungen in Anspruch nimmt? Und viele mehr.
Neben der Bereitschaft zur einrichtungsübergreifenden Zusammenarbeit wird der effiziente Einsatz von (Fach-)Software und digitalen Medien im Rahmen der personenzentrierten Erbringung von Fachleistungen umso wichtiger werden. In vielen Branchen gehört es bereits zum Standard, dass Leistungen bequem online oder per App gebucht werden können. Nahezu jeder Mensch besitzt heutzutage ein Smartphone – und immer häufiger werden mithilfe dieser Geräte Termine gebucht oder Leistungen eingekauft. Auch in der Sozialbranche sind diese Trends spürbar.
Insofern sollte zumindest darüber nachgedacht werden, Leistungsempfängern in Zukunft die Möglichkeit zu geben, sich online über Leistungen zu informieren und sie dann auch über die Website oder per App zu buchen. Natürlich muss an eine solche Buchung dann ein Prozess geknüpft sein, der sicherstellt, dass der Leistungsempfänger eine Bestätigung für seine Buchung bekommt, die entsprechenden Mitarbeiter über die Buchung informiert werden und entweder einen Termin festlegen oder den Termin in ihren Kalender übertragen und so weiter.
Sicher ist: Ohne weitestgehend digitalisierte und optimierte Prozesse und eine Fachsoftware, die als Sammelpunkt für Informationen, Termine und Aufgaben fungiert, wird die Erbringung personenzentrierter Leistungen um ein Vielfaches schwieriger werden.